Eigensinn – Hermann Hesse, gelesen und kopiert 10/07/2016
Der Sinn des Eigenen
„Es gibt für Jeden keinen anderen Weg der Entfaltung und Erfüllung als den der möglichst vollkommenen Darstellung des eigenen Wesens. „Sei Du Selbst“ ist das ideale Gesetz, zumindest für den jungen Menschen, es gibt keinen anderen Weg zur Wahrheit und zur Entwicklung.“
„diese geheimnisvolle Kraft, die ihn Leben heißt und ihm Wachsen hilft“
Der Ansporn zum Eigensinn durchzieht Bücher und Briefe von Hermann Hesse. Nicht mutwillige Aufsässigkeit oder störrische Rechthaberei sind damit gemeint, sondern ein Ansporn, sich auf das Abenteuer einzulassen, die eigenen Anlagen zu entdecken und auszugestalten. Für Hermann Hesse ist Eigensinn eine Antwort auf Anpassungszwänge, welche die individuelle Freiheit bedrohen. Nichts ist seiner Ansicht nach der Entwicklung der Menschwerdung abträglicher als Stilstand und eine allzu frühe Rollenfixierung auf Kosten der Selbstverwirklichung. In den Schilderungen und Geschichten des Bandes „Eigensinn mach Spaß“ wird gezeigt, auf welche Weise eine produktive Balance zwischen eigen- und Gemeinschaftssin, zwischen Individuation und Anpassung erreicht werden kann.
Sinn des Eigensinns
„…., der Eigensinnige, zeigt den Millionen der Gewöhnlichen, der Feiglinge, immer wieder, daß Ungehorsam gegen Menschensatzung keine rohe Willkür sei, sondern Treue gegen ein viel höheres, heiligeres Gesetz. Anders ausgedrückt: der menschliche Herdensinn fordert von jedermann vor allem Anpassung und Unterordnung – seine höchsten Ehren aber reserviert er keineswegs den Duldsamen, Feigen, Fügsamen, sondern gerade den Eigensinnigen, den Helden…..Würde die Mehrzahl der Menschen diesen Mut und Eigensinn haben, so sähe die Erde anders aus.“
Der Sinn des menschlichen Lebens liegt möglicherweise darin, daß alle Möglichkeiten des Menschseins ausprobiert werden. Jeder Mensch nimmt im Eigensinn eine Lebensmöglichkeit oder ein paar wenige Möglichkeiten auf sich und geht sie lebend ausfüllend an. So entsteht möglicherweise im gelebten Eigensinn Freude, die Lebensmöglichkeiten stets weiter zu erkunden und Teil zu haben an einer Erfahrung der Lebenskraft nach der die Wirklichkeit, das Leben als großes Ganzes eingerichtet ist. Der Sinn allen Seins könnte nämlich darin liegen alle Möglichkeiten menschlichen Seins zu durchleben, ohne weiteres Ziel, bis in die Ewigkeit.
Der Sinn des Eigensinns , des individuellen menschlichen Lebens besteht dann im individuellen Beitrag zur vollständigen Entwicklung aller Lebensmöglichkeiten. Auch wenn es scheinbar um etwas kleines, wie zum Beispiel Bewegungsmöglichkeiten, geht, das dem Einzelnen recht unbedeutend vorkommt. Und doch ist der einzelne im gelebten Eigensinn eine der Möglichkeiten, die das Leben bereichern. Das ist der Sinn des einzelnen Lebens im großen Ganzen, vom Anfang dieses Lebens bis an sein Ende. Und das ist wohl für jeden gültig.
Jede persönliche Erfahrung im gelebten Eigensinn ist aus der Perspektive des großen Ganzen für das große Ganze wichtig. Die Evolution des Menschen und des Lebens profitiert von diesem Durchleben der zahlreichen Möglichkeiten in zahlreichen individuellen Menschenleben. Was im Kleinen ausprobiert ist, kann in den großen Lebensprozess übernommen werden. Ein Vorgang ähnlich dem Erkunden verschiedener Reiseziele durch viele verschiedene Menschen. Hier eben möglicher Reiseziele des Lebens. Jeder individuelle Mensch erkundet ein oder mehrere möglicherweise lohnende Reiseziele, Orte, Umgebungen. Daraus entstandene Erfahrung werden herum erzählt und weitergegeben. Damit ist am Ende allen, auch den „Nicht-Erkundern“ klar, wo sich die Mühe lohnt und wo nicht. So profitiert wohl das ganze Leben von gelebtem Eigensinn. Eine sinngebende Aufforderung, die eigenen Möglichkeiten im Leben zu erkunden, und mit eigenem Sinn bereichernd zum großen Lebensganzen beizutragen.
Hermann Hesse – Neues Erleben
Wieder seh ich Schleier sinken,
Und Vertrautestes wird fremd,
Neue Sternenräume winken,
Seele schreitet traumgehemmt.
Abermals in neuen Kreisen
Ordnet sich um mich die Welt,
Und ich seh mich eiteln Weisen
Als ein Kind hineingestellt.
Doch aus früheren Geburten
Zuckt entfernte Ahnung her:
Sterne sanken, Sterne wurden,
Und der Raum war niemals leer.
Seele beugt sich und erhebt sich,
Atmet in Unendlichkeit,
Aus zerissenen Fäden webt sich
Neu und schöner Gottes Kleid.